Monsieur Croche, der Antidilettant …

Es ist wie immer bei Dorfmüller in der Politischen Runde: der virtuose Musikwissenschaftler plaudert locker über einen großen Komponisten und den Zusammenhang von Geschichte und Musik. Das Publikum staunt, der Referent setzt sich an den Flügel und demonstriert mit leichter Hand die Besonderheiten, heute Abend von Claude Debussy. Endlich verstehe ich die „Geheimnisse“ der Pentatonik und der Ganztonleiter. (Die kamen bei meiner Garagenband damals nicht vor.) Dann wird’s biografisch. Der Professor erklärt Debussy: den Meister des musikalischen Impressionismus’. Ein „Revolutionär“, aber kein „Rebell“. Ein stets akkurat gekleideter, höchst pedantischer Querdenker mit Hang zur Bohème am Ende des 19. Jahrhunderts. Oft knapp bei Kasse. Kettenraucher. Selbstgedrehte. Gut befreundet mit Baudelaire, Mallarmé, den literarischen Impressionisten. Dorfmüller zurück am Flügel. Jetzt gibt’s reichlich Kostproben: „Arabesque I“, „Claire de lune“, zahlreiche „Préludes“ und als Krönung „Golliwog’s Cake-walk“. Der Meister nutzt die ganze Breite des Flügels und drückt aufs Pedal. Wie das eben so ist, wenn man Debussy spielen soll. Der hatte übrigens bei aller Virtuosität noch dazu Humor. Als Musikkritiker nannte er sich „Monsieur Croche“ und verdiente sich ein paar Francs nebenher mit frechen Verrissen der bisweilen weniger geschätzten Kollegen. Als er davon genug hatte, verabschiedete es sich mit einem knappen Statement: „Ich weiß wahrhaftig nicht, was der arme Monsieur Croche unter so vielen hochnäsigen Spezialisten anfangen soll. Ich habe gute Lust, Ihnen mit folgender Anzeige seinen Tod zu melden: Monsieur Croche, der Antidilettant, zu Recht angewidert von den musikalischen Sitten dieser Zeit, ist sanft entschlafen und in die allgemeine Gleichgültigkeit eingegangen. Es wird gebeten, von Blumen und Kranzspenden abzusehen und vor allem keine Musik zu machen.“ Dorfmüller war damit nicht gemeint. Als Zugabe spielt der emeritierte Professor, dann noch 2 Stücke von George Gershwin. Seltsame Mélange, aber ungeheuer passend. Ebenso wie die gut sichtbare, erleuchtete Schwebebahn dazu im Dreiminutentakt. Es ist halt wie immer, wenn Dorfmüller in der Politischen Runde spielt.