Die kleine Hansestadt im äußersten Nordosten von Nordrhein-Westfalen glänzt heute mit einer fast vollständig erhaltenen Fachwerk-Altstadt aus dem 12. Jahrhundert und einer kaum vierzig Jahre älteren, vierzig Meter oberhalb gelegenen „Neustadt“ am Ufer des kleinen Flusses Diemel. Im Mittelalter zwei recht schnell mit niederer Gerichtsbarkeit ausgestattete Doppelstädte, die nach den zuerst üblichen Animositäten bald unter dem Parlamentsvorsitz von zwei sich abwechselnden Bürgermeistern zur Gesamt- und danach Hansestadt Warburg vereinigt wurden. Die pragmatische Antwort auf die Frage: wem gehört die Stadt? Anfangs ein echtes Erfolgsmodell – wirtschaftlich aufstrebendes Stadtbürgertum, tüchtiges Handwerk und ein paar fleißige Bauern drum herum. Der Niedergang kommt im Dreißigjährigen Krieg, der in der Provinzstadt besonders heftig wütet, die ehemals stolze Einwohnerzahl von 16.000 auf gerade einmal 2.000 dezimiert und die wirtschaftliche Talfahrt einleitet. Die dauert bis weit ins 19. Jahrhundert an, bis die Provinzstadt mit einem prosperierenden Gymnasium allmählich „wieder auf die Beine kommt“ und schließlich zur Kreisstadt aufgewertet wird. Der „Höhenflug“ ist kurz. In den 70er Jahren wird der Landkreis Warburg aufgelöst, die Stadt verliert viele ihrer administrativen Funktionen und schlummert seit dem vor sich hin: bedeutungslos, aber schön. Ein wenig „Dornröschen“ -fehlt noch der Kuss. Besucher werden schnell vom besonderen Charme der alten Fachwerkbauten ergriffen, gewinnen Respekt vor dem stadtgeschichtlichen Kuriosum der Alt- und Neustadt und freuen sich darüber, dass weder die alten Wehranlagen, die Türme und Kirchen noch die Bürgerhäuser und Kneipen künstlich musealisiert sind, sondern aus sich selbst heraus Geschichte(n) erzählen.
Beinahe 2 Kilometer außerhalb des Stadtkerns liegt ein gottverlassener Bahnhof mit „High Noon“ – Stimmung, den die Bahn offenbar nicht so sehr lieb hat. Einen Steinwurf entfernt von der historischen, aber herunter gekommenen Wartehalle liegt am „Gleis 2“ eine ehemalige Bahnarbeiter-Kantine: Von außen mit dem Charme eines Chemnitzer Jugendzentrums vor der Wende (ohne den Chemnitzer Jugendzentren damit zu nahe treten zu wollen). Aber innen gibt es ein Kunsthandwerk-Atelier, das ebenfalls „Gleis 2“ heißt und von Annette Lödige betrieben wird. Hier kann man über vieles Staunen: rustikale Filzkunst und abstraktes Malen, nützliche Gegenstände für den Alltag oder dezentes Stillleben, vor allem aber über dies: einen bunten Tupfer Kreativität in der grauen Tristesse eines Provinzbahnhofes, den vermutlich selbst Revolverhelden des Wilden Westens gemieden hätten: Rosen im Asphalt Der Besuch der provinziellen Schönheit Warburg braucht noch eine Krönung, und die gibt es auf dem Desenberg, ein seltsamer, 150 Meter hoher Basaltkegel vulkanischen Ursprungs, der ein paar Kilometer vor der Stadt urplötzlich aus der flachen Bördelandschaft schießt. Da kann man hinaufwandern und kommt bei einer alten Burgruine raus. Oben angekommen schaut man auf eine handvoll Bördedörfer und hat einen atemberaubenden Blick bis hin zum Rothaargebirge, zum Eggegebirge, zum Habichtswald. Ganz früher war der seltsame Kegel eine heidnische Kultstätte, im Mittelalter wegen der strategischen Lage ein heiß umkämpfter Zankapfel zwischen kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten und damit Grund für zahllose Fehden mit eingeschlagenen Köpfen. Mehrfach in Schutt und Asche gelegt, wieder aufgebaut und ebenso schnell wieder zerstört, hat man sich seit dem 16. Jahrhundert den Wiederaufbau dann offenbar geschenkt. Die Zeit der Ritter, Burgen und ungeregelten Territorialkonflikte war passé. Ihre Ruinen wurden jetzt eher friedlichen Zwecken zugeführt oder standen Modell für zahlreiche Künstler und solche, die es werden wollten. Ganz nebenbei soll hier der Sage nach ein Drache gehaust haben, der erst von einem mutigen Ritter trickreich erledigt werden konnte: er zeigte dem Drachen in seinem polierten Wappenschild dessen Spiegelbild, worauf der Drache offenbar mächtig vor sich selbst erschrocken war, so dass der Krieger leichtes Spiel hatte. Auf diese Weise wurden in Warburg nebenbei schon früh wichtige Methoden des politischen Kabaretts erfunden. Zumindest der Sage nach. Hinfahren lohnt sich!