Die „Rolle rückwärts“

in der Rentenpolitik fordern die beiden Journalisten Dagmar Hühne und Holger Balodis (ARD Monitor, plusminus, Ratgeber Recht). Am 30.9. waren Sie zu Gast in der Politischen Runde und diskutierten mit dem Publikum diese Thesen aus ihrem Buch:Die Vorsorgelüge – Wie Politik und private Rentenversicherungen uns in die Altersarmut treiben!(Econ-Verlag) „Seit rund 15 Jahren wird uns Private Altersvorsorge als Wundermittel zur Vermeidung von Altersarmut verkauft. Wir halten das für eine Vorsorgelüge.

These 1: Mehr Privatvorsorge mit Lebensversicherungen führt bei gleichzeitiger Absenkung der gesetzlichen Rente nicht zu weniger, sondern zu mehr Armut.   Nur Placebos sind die aktuellen Rentenkonzepte der großen Parteien: Die Lebensleistungsrente und die Solidarrente. Sie nutzen nur wenigen. Die Voraussetzungen: 45 oder 40 Versicherungsjahre!
Die Belohnung: eine Rente knapp oberhalb der Grundsicherung. Und beide setzen weiter auf private Vorsorge bzw. Betriebsrente. Das Grundübel, die Riesterreform, wird nicht korrigiert. So werden künftig viele Millionen eine Rente unterhalb der Grundsicherung bekommen.   Aktuelle Lage: Die Zugangsrente im Jahr 2011 beträgt für langjährig Versicherte (mind. 35 Versicherungsjahre): 953 Euro. Im Jahr 2000 sind es noch 1021 Euro gewesen.
Berücksichtigt man die Geldentwertung, bekommen Neurentner heute 20 bis 25 Prozent weniger als zur Jahrtausendwende unter Rot-Grün. Geplant ist eine weitere Kürzung des Rentenniveaus um rund 14 Prozent bis 2030. Die Betrachtung des Rentenniveaus schönt die wirkliche Lage meist noch: Wer keine 45 Versicherungsjahre hat, wer Phasen von Arbeitslosigkeit hat, wer unterdurchschnittlich verdient, für den wird es noch schlimmer kommen. Auch die Rentenabschläge für vorzeitige Inanspruchnahme drücken sich im offiziellen Rentenniveau nicht aus. Wer beispielsweise mit 65 statt mit 67 aussteigt, bekommt 7,2 Prozent Abschlag.  

Was droht 2030?
Ein Bruttolohn von 2.200 Euromonatlich (immerhin etwas mehr als 12 Euro die Stunde) bringt nach 40 Jahren im Jahr 2030 eine Rente von 688 Euro. Ziemlich genau Grundsicherung. Aktuell verdienen rund 12 Millionen der versicherungspflichtig Beschäftigten 2.200 Euro oder weniger (rund 12,20 Euro Stundenlohn). Die Zahl der Betroffenen ist jedoch weitaus höher: Millionen Scheinselbständige, Minijobber und Dauerarbeitslose.
Geschätzte 20 Millionen und damit rund die Hälfte der heute Erwerbstätigen werden künftig Renten unterhalb des Grundsicherungsniveaus beziehen.   These 2: Die Kürzungen bei der Rente wurden ohne Not vorgenommen. Die Absicht war, breiten Bevölkerungsschichten Finanzprodukte nahe zu legen, die bis dahin in dieser Form noch völlig unbekannt waren: Privatrenten.   Mit Erfolg: Es gibt heute rund 16 Mio. Riesterverträge. Diese wurden mit über 20 Mrd.Euro Staatsgelder gefördert. Insgesamt gibt es rund 39 Millionen private Rentenverträge, also Riester- und Rürupverträge, Pensionskassen und ungeförderte Privatrenten. Nimmt man die inzwischen gekündigten Verträge hinzu, so dürften weit über 50 Millionen Policen verkauft worden sein. Die Gesamteinnahmen der Versicherungswirtschaft pro Jahr inklusive Pensionskassen: rund 90 Milliarden Euro.Die Kunden dagegen machen mit privaten Rentenverträgen zu 80 bis 90 Prozent effektiv Verluste. Der Grund liegt im Wesentlichen an den drei großen Klaus:
1. Der Kostenklau.

2. Der Stornoklau.
3. Der Lebenserwartungsklau.

Kosten:Durchschnittlich 10 bis 20 Prozent der Einzahlungen gehen für Kosten verloren. In besonders ungünstigen Verträgen bis zu 50 Prozent.
Storno:
private Altersvorsorgeverträge werden zu 80 Prozent vorzeitig gekündigt. Nur 20 Prozent halten durch.
Wer kündigt, erleidet hohe Verluste. Prof. Oehler (Bamberg) schätzt den Schaden bundesweit pro Jahr auf 16 Mrd. Euro.

Lebenserwartung: Es hängt alles davon ab, wie lange die Kunden wirklich leben und welche Annahmen der Versicherer hierüber getroffen hat. Tatsächlich kalkulieren die Versicherer mit Annahmen zur Lebenserwartung, die mindestens 10 Jahre über denen des statistischen Bundesamtes liegen. Das sorgt jedes Jahr für milliardenschwere „Sterblichkeitsgewinne“.   Zum Demografie-Argument: Wir leben immer länger. Und wir bekommen immer weniger Kinder. Wie kann das gut gehen? Eine Entwarnung: Aktuell hat das statistische Bundesamt das dritte Jahr in Folge einen Bevölkerungswachstum durch Zuwanderer gemeldet: Wir werden mehr statt weniger! Und das funktioniert auch langfristig: Es gab mehrere Zuwanderungswellen, ein höhere Erwerbstätigkeit der Frau und eine Produktivitätsentwicklung, die es erlaubte, die Beitragssätze ohne Wohlfahrtsverluste zu erhöhen. Es gibt keinen Grund, dass dies nicht auch in Zukunft bei unverändert niedrigen Geburtenraten gelingt.   Wie hoch die Beiträge wirklich steigen, das hängt nicht, wie immer behauptet wird, von dem Verhältnis jung zu alt ab. Es kommt auf das Verhältnis Beitragszahler- Rentner an.   Hier gibt es ein gewaltiges Potenzial:
Drei Millionen Arbeitslose, mindestens 1,5 Millionen stille Reserve, 5 Millionen Personen, die ausschließlich einen Minijob machen, 2,5 Millionen Solo-Selbständige, 1,6 Millionen Beamte, 2 Millionen Beschäftigungsreserve unter Frauen und Älteren. Macht ein Potenzial von 15,6 Millionen Personen, die in die Sozialkassen einzahlen könnten. Würde einDrittel davon genutzt, wäre die demographische Lücke im Jahr 2030 gefüllt. Die Aufstellung zeigt auch: wenn wir an die Strukturen gehen, wäre auch eine Rente mit 67 verzichtbar.   These 3: Wir brauchen eine Wiedererfindung der gesetzlichen Rente. Sie ist die beste Absicherung gegen Altersarmut, denn sie ist resistent gegen Finanzkrisen und Inflation. Die Riester-Rente muß gestoppt werden. Wir müssen zurück zum alten Rentenniveau.Ein Einfrieren des heutigen Niveaus reicht nicht. Es müssen sämtliche Kürzungen, die sich bis 2030 auf rund ein Drittel aufsummieren, rückgängig gemacht werden.
Gewinner
wären die Rentner. Gewinner wären aber auch die Beitragszahler. Die zahlen trotz höherer Rentenbeiträge unterm Strich weniger, weil die Riesterbeiträge wegfallen. Verliererwäre die Finanzwirtschaft. Etwas mehr belastet würden die Arbeitgeber. Sie würden bei der Rückkehr zum alten Rentenniveau wieder voll paritätisch herangezogen. Das wäre nicht nur gerecht, das könnten sich die Arbeitgeber angesichts der massiv gesunkenen Lohnstückkosten auch leisten.“