Wer solch authentische und sympathische Auftritte in der Politischen Runde hinlegt, sollte sich um den Erfolg seines „Projektes“ eigentlich keine Sorgen machen müssen: Sophie Blasberg undJan Filipzig haben es im Handumdrehen geschafft, ihre Philosophie von Qualitätsjournalismus am Beispiel der „neuen“ Wuppertaler Wochenzeitung talwaerts deutlich zu machen und ein -notorisch skeptisches- Rundenpublikum für sich zu gewinnen. (Notiz am Rande: Da kann man die kalkulierte Nichtbeachtung durch „mediale Platzhirsche“ durchaus verkraften und als Ausweis von Respekt vor eingebildeter oder echter Konkurrenz um Marktanteile werten, obwohl talwaerts doch eher eine Ergänzung der lokalen Medienlandschaft sein will. Kein Zweifel: Der lokale „Medienmarkt“ ist eng. Da sind schon mal die Mittel recht. Das kann man nachvollziehen. Der Abend in der Politischen Runde hat trotzdem sein Publikum: Das ist durchaus sensibel und versteht den Kontext.) Der Tenor ist dabei eindeutig: talwaerts ist eine „Wuppertaler Wochenzeitung werbefrei“. Die wohlfeile Alliteration ist kaufmännisches Kalkül und journalistische Vision in Einem, Ausdruck von reichlich Idealismus und publizistischer Philosophie. Talwaerts macht tatsächlich was anders, kein Zweifel: Gern auch mal eine Redaktionskonferenz coram publico – nichts zu verbergen, Charme der Transparenz. Vielleicht ist das sogar der schärfste Pfeil im medienökonomischen Köcher – die beachtliche Sympathiewelle, auf der das „Projekt“ gerade schwimmt. 600 aktuelle Abos, das ist nicht „die Welt“, aber: Tendenz steil steigend. Was ist das Geheimnis dieses Anfangserfolgs? Wie geht das: Eine Zeitung 100% leserfinanziert? Konsequent auf Papier und nicht im Netz? Wie erfolgreich kann eine regionale Wochenzeitung sein, die komplett auf Werbung und Internetauftritt verzichtet und auch sonst noch so einiges anders macht? Im Juni 2014 kam das erste Exemplar der Zeitung auf den Markt. Die verkaufte Auflage war noch recht überschaubar, die Zahl der Orte, wo verkauft wurde, auch. Die Abonnenten waren den Zeitungsmacher/innen vermutlich persönlich bekannt. Chefredakteur und Herausgeber Jan Filipzik, Magister für Geschichte und Sozialwissenschaft, war Volontär bei der Westdeutschen Zeitung. Sophie Blasberg ist Chefreporterin der Wochenzeitung, sie war ebenfalls bei der Westdeutschen Zeitung. Sie ist Moderatorin beim Hochschulradio. Studiert Sozialwissenschaften – Medien, Politik, Gesellschaft in Düsseldorf. Beide haben Zeit & Raum als journalistische Mangelware erkannt und wollen das ändern mit gut recherchierten, multiperspektivischen Artikeln einmal pro Woche, in der sich die Leser „Zeit für Wuppertal“ nehmen sollen. Die Stadt so positiv abbilden, wie sie es eigentlich verdient. Das ist das Ziel der beiden. Die Themen sind ein Mix aus Mainstream (Politik, Kultur) und Exotik, auch solche,über die sonst keiner schreibt. Sie erhalten Raum. Die durchschnittliche Länge der Artikel durchbricht dabei auch Lesegewohnheiten. es geht um Aktualität, Hintergrund, Perspektivwechsel, Kontraste, Gegensätze und immer wieder Menschen, Wuppertaler. Geboten wird auch Meinung, aber stets dem Leser die Chance bietend, sich selbständig zu verhalten. Was will man mehr? Bilder. Sie genießen in der Zeitung einen besonderen Stellenwert. Ihr Projekt, das längst keines mehr ist, befindet sich in der Wachstumsphase. Die Zahl der Mitarbeiter ist auf 20 gestiegen. Keiner arbeitet „ehrenamtlich“. Den Begriff Werbefreiheit nimmt man wörtlich: Sie ist weniger Ideologie als der Wunsch nach Unabhängigkeit. Darum geht es und um Qualitätsjournalismus, abseits von Anpassungsjournalismus und Trivialisierung. Kein Zweifel: Der aktuell wachsende ökonomische Druck verändert die Medien. Verlust an Qualität wird beklagt. Es regiert ein Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit („eyeballs“). Die Folgen: Boulevardisierung bis hin um Anbiederungsjournalismus. Kann talwaerts dagegen immun sein? „Wir werden es versuchen.“ Das klingt trotzig idealistisch, vielleicht naiv, aber in jedem Fall sympathisch. Und die Online-Abstinenz? „Geben wir vermutlich irgendwann auf. Dann gibt es talwaerts auch als E-paper.“ Am Ende des Abends hat das Publikum viel über ein mutiges und engagiertes Projekt i.S. Qualitätsjournalismus gehört. „Zeit für Wuppertal“ – das Motto kommt offenbar an. Journalismus mit Herz und mit Blick auf die Leser und für ihre Stadt. Diese sollen sich einfach mal die Zeit nehmen, mehr über eine Stadt zu erfahren, die in ihren Eigenheiten unverwechselbar ist. Und deren ramponiertes Image in krassem Gegensatz zur Vielfalt ihrer Stärken steht. Schon allein dies würde ausreichen, talwaerts zu unterstützen und dem Projekt alles Gute und ein langes Leben zu wünschen. Seine Werbefreiheit ist dabei weniger ökonomisches Prinzip als Ausdruck der Philosophie der Zeitung und ihrer Macher. Hier geht es um Unabhängigkeit und kritische Berichterstattung ohne Filter, ohne Schere im Kopf, ohne Selbstzensur. Oder anders gesagt: Es geht um Haltung. (Und die ist jederzeit besser als Enthaltung.) Und das Publikum im demokratischen Medienalltag, der nun mal privatwirtschaftlich organisiert ist? Was ist ihm die Sicherung publizistischer Vielfalt eigentlich wert? Was wollen die Leser selbst gegen den viel zitierten Qualitätsverlust der Medien tun? Das ist zum Schluss eine politische, ein gesellschaftliche, eine persönliche Frage: Zum Beispiel ambitionierten Journalismus mit Haltung unterstützen?