Dr. Thorsten Gerald Schneiders, Islamwissenschaftler in Münster, Politologe, Redakteur beim Deutschlandfunk und Buchautor, hat mit „Salafismus in Deutschland“ das derzeit wohl umfangreichste verfügbare Werk mit renommierten Autoren zum Thema herausgegeben.
Der Islam insgesamt sei nach nach 9/11 zum „Thema“ geworden, so Schneiders. Salafismus sei Teil des Fundamentalismus, die Grundidee seit langem bekannt: Im Kern eine Lehre nahe an den „Ursprüngen“ der Religionsstifter. Neuerungen werden dabei ignoriert. Was aber ist in dieser Perspektive das „richtige“ Religionsverständnis? Der Fundamentalismus klammert menschliche Einflüsse auf Religion per se aus. Die Auslegung des Korans wird dabei zum Problem. Das Verhältnis Mensch/Mensch ist nämlich dort nicht geregelt. Die Verse des Korans sind in hohem Maße
auslegungsbedürftig. Details aber sind seit Jahrhunderten umstritten. Solche Unwägbarkeiten überfordern viele Menschen. Autoritäten sind im Islam jedoch nicht vorgesehen. In der Salafismus-Praxis passiert aber genau das. Salafisten kopieren die vermeintliche Urgemeinde des Islam, auch im Habitus, Kleidung etc., suchen „die reine Lehre“ der Ursprünge. Der Begriff leitet selbst sich aus dem Arabischen „die frommen Altvorderen“ ab. Eine 1400 Jahre alte Ethik, Moral wird dadurch ins Hier & Jetzt transportiert. Das macht den Salafismus religionstheoretisch so überaus fragwürdig und problematisch.Was macht ihn so attraktiv für junge Leute? Pierre Vogel ist in Deutschland „das Gesicht“ des Salafismus. Er ist seit 2006 unterwegs und noch nie im Gefängnis gewesen, obwohl der Verfassungsschutz den harten Kern von etwa 7000 Salafisten Deutschland im Auge hat. Für Vogel ist das Thema Religion durchaus zentral. Die Salafisten-Szene aber ist insgesamt nach Vordenkern und Mitläufern strukturiert. Interessantes Detail: Die gern gezeigtenTatoos der Salafisten (Dschihad) sind bei Moslems eigentlich verpönt. Den Salafisten geht es im Prinzip auch eher um Protest, nicht um Religion. Gewaltbereite Protestformen sind auch in anderen (politischen) Szenen anzutreffen. Die Salafisten-Szene versammelt zumeist junge Leute mit „Problemen“. Schneiders differenziert: Soziale Entwurzelung, Desintegration, Islamfeindlichkeit der Mehrheitsgesellschaft, rechtspopulistische Positionen Marke „Sarrazin“ u.a. als Ursachen. Die Reaktionsschemata seien unterschiedlich: Desinteresse angesichts der Diskriminierung, aber auch Gewaltbereitschaft aus Frustration existierten nebeneinander. Die „Jetzt muss etwas passieren – Fraktion“ sei anfällig für den Salafismus. Es gebe Vordenker im Ausland, etwa in Saudi-Arabien. Die islamische Welt liege insgesamt „in Trümmern“. Dafür gibt es politische, ökonomische Gründe. Kriege: Irak, Syrien, Afghanistan. Die Salafisten – Szene bietet sich in diesem Kontext als Sinnstifter für Außenseiter. Die sozialpsychologische Komponente: Nicht nur sozial Deklassierte sondern auch bestens Integrierte bilden die Szene. Oftmals feststellbar: Gestörte Vater-Sohn-Beziehungen, problematische Primärbeziehungen im Elternhaus .Allerdings –und dies ist Schneiders wichtig- die Radikalisierung läuft nicht nach Schema F. Gewaltbereite, Systemkonforme, Religiöse daheim, öffentliche Missionare. DEN Salafisten gibt es nicht. „Nicht alle Salafisten sind Terroristen, aber alle uns bekannten islamistischen Terrorverdächtigen haben einen salafistischen Hintergrund.“
Schneiders beeindruckender Auftritt in der Politischen Runde und das von ihm herausgegebene Buch sind ein wichtiger Beitrag zur Versachlichung des Problems. Es räumt auf mit falschen Vorstellungen und ist ein geeignetes Mittel gegen gelegentliche Hysterie, wie etwa nach dem „gelungenen PR-Coup“ der sogenannten „Sharia-Police“ in Wuppertal, die durch Politiker-Reaktionen und den folgenden Medienhype den Salafismus erst wirklich zum Thema machte.