Wie Bürgerbeteiligung gelingen kann.

Marc Schulz über Beteiligungskultur


Die Irritation gleich zu Beginn: Marc Schulz zitiert Otto von Bismarck, den Kaiserreichskanzler, dessen demokratisches Potenzial eher „überschaubar“ war. Spätestens danach war das Publikum „wach“:

„Gesetze sind wie Würste: Man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“

Denn genau darum ging es an diesem Abend, um das Dabeisein, um das Mitgestalten von Entwicklungen, Entscheidungen, Projekten und Prozessen in der Kommune. Um tatsächlich gelingende Bürgerbeteiligung und die dazu notwendige Beteiligungskultur. Vorweg genommen. Das Abschlusszitat in Marc Schulz‘ Vortrag klang denn auch weitaus positiver, authentisch aus dem Mund eines „legendären Demokraten“, Sven Olof Palme:»Es ist eine Irrlehre, dass es Fragen gibt, die für normale Menschen zu groß oder zu kompliziert sind. Akzeptiert man einen solchen Gedanken, so hat man einen ersten Schritt in Richtung Techno­kratie, Expertenherrschaft, Oligarchie getan. Politik ist zugänglich, ist beeinflussbar für jeden. Das ist der zentrale Punkt der Demokratie.«

Wir dokumentieren an dieser Stelle die zentralen Aussagen von Marc Schulz, wie sie sich in den Folien & Visualisierungen seines Vortrags niederschlagen, unkommentiert. Die Quintessence der anschließenden engagierten Diskussion mit dem Publikum: Bürgerbeteiligung gelingt dann am Besten, wenn sie in eine entsprechende Beteiligungkultur eingebettet und insbesondere erkennbar und ausdrücklich erwünscht ist. Hoffnungen knüpfen sich auch an die neue Dezernentenstelle der Stadt, die einmalig auf kommunaler Ebene sein dürfte, und an die Qualität des anstehenden Prozesses der Formulierung von „Leitlinien für Bürgerbeteiligung in Wuppertal“, für die es bereits zahlreiche Vorbilder im Land gibt.Am Schluss des Abends standen zwei entschlossene Imperative: Anfangen! Machen!

BÜRGERBETEILIGUNG UND DIREKTE DEMOKRATIE
Zwei Seiten einer Medaille

Direkte Demokratie

  • Beteiligung von BürgerInnen an Entscheidungsfindungsprozessen, Volksbegehren und-entscheide, Bürgerbegehren und –entscheide oder Referenden
  • In Wuppertal bislang ein einziger Bürgerentscheid: 1998 zu den sogenannten Buskaps
  • Bürgerbegehren u. a. zu Baumschutzsatzung, SSLZ Küllenhahn, Hauptschule Cronenberg, „Gelbe Schule“, Mehrkosten Döppersberg (Döpps105)
  • Geplantes, aber nicht durchgeführtes Bürgerbegehren gegen die Bebauung des Carnaper Platzes  

BÜRGERBETEILIGUNG

  • Formale Bürgerbeteiligung: Gesetzlich geregelt und vorgeschrieben (z. B. bei Bauleitplanverfahren: Frühzeitige Beteiligung und Stellungnahmen)
  • „Informelle“ Bürgerbeteiligung: nicht-gesetzliche, „freiwillige“ Beteiligungsverfahren Formale Bürgerbeteiligung: Baugesetzbuch (BauGB §3) regelt zweistufige Öffentlichkeitsbeteiligung an der Bauleitplanung  
  • Frühzeitige Beteiligung: Auslegung des Planungsentwurfs und ggf. öffentl. Veranstaltung zur Bürgerinformation
  • Zweite Phase: Entwurf der Bauleitpläne ist mit Begründung einen Monat lang öffentlich auszulegen. Stellungnahmen fließen in die Abwägung, die dem Rat vorgelegt wird, mit ein.  

BÜRGERBETEILIGUNGSVERFAHREN

  • Bürgerforen, Bürgerversammlung, Einwohnerfragestunde,
  • Anhörung, öffentliche Gesetzeskonsultation
  • Bürgerhaushalt
  • öffentliche Auslegung von Plänen
  • Folkehøring, Zukunftswerkstatt, Zukunftskonferenz
  • Planungszelle/Bürgergutachten
  • Mediation
  • Petition
  • Open Space, OpenSpace-Online
  • Planning for Real
  • World-Café
  • Ideenwettbewerb
  • Charrette-Verfahren
  • Bürgerenergiegenossenschaft  

PLANUNGSZELLE Streng formalisiertes Verfahren, in den 70er Jahren vom Wuppertaler Soziologieprofessor Peter Dienel entwickelt:

  • 25 BürgerInnen pro Planungszelle,
  • vier Tage a 8 Stunden
  • werden von ihrer Arbeit freigestellt
  • erhalten Aufwandsentschädigung
  • Impulsreferate von ExpertInnen
  • Ergebnis: Bürgergutachten  

BÜRGERHAUSHALT

Erster Bürgerhaushalt in den 80ern in Porto Alegre

  • Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in den Stadtteilen, „dort, wo sie leben“
  • Verfahren wird von der Bürgerschaft organisiert (mit Unterstützung der Verwaltung)
  • Seit 1994 fünf thematische Foren auf Stadtebene zu einzelnen politischen Themenfeldern
  • Delegiertenversammlung (aus den Stadtteilen gewählt) beraten Anregungen aus der Bürgerschaft und fassen sie zusammen
  • Am Ende wird der Bürgerhaushalt dann dem Rat vorgelegt
  • Eine positive Auswirkung dieses Modells liegt in der gerechteren Verteilung städtischer Ressourcen und Finanzen.  

OPEN GOVERNMENT

  • Öffnung von Regierung und Verwaltung gegenüber der Bevölkerung
  • Mehr Transparenz, mehr Teilhabe, intensivere Zusammenarbeit, Stärkung der Gemeinschaft
  • Freie (Verwaltungs-) Daten im Internet (Open Data), z. B. beim Haushalt  

Rahmenbedingungen für kommunale Beteiligungspolitik

  1. …braucht einen verbindlichen Rahmen für Bürgerbeteiligung, der gemeinsam mit allen Akteuren erarbeitet wird.
  2. …braucht Verbindlichkeit.
  3. …braucht eine beteiligungsorientierte Verwaltung und Politik.
  4. …bezieht sich auf alle kommunalen Handlungsfelder und Entscheidungsprozesse.
  5. …benötigt eine regelmäßige Evaluation.
  6. …braucht Transparenz.
  7. …ermöglicht die Mitwirkung aller.
  8. …braucht Unterstützung und Infrastruktur für eine gute Beteiligungspraxis.
  9. …braucht starke Kommunen und ausreichende Ressourcen.

(angelehnt an Empfehlungen des Netzwerks Bürgerbeteiligung)