Friedrich Engels „light“

Ein Jubiläum als Pas de deux aus Konstruktion und Dekonstruktion?

Im Jahr 2020 wird mit ihm einer der Erfinder der Erzählung vom „Scheitern“ der bürgerlichen Revolution von 1848/49 mit einer Reihe von Feierlichkeiten geehrt werden. Wenn man so will, steht das Festkomitee seiner Heimatstadt dann in gewisser Weise in der Nachfolge jener rebellischen Bürger von 1849, die den ihnen damals reichlich suspekten Sohn aus der Stadt hinaus komplimentierten, bevor er danach als steckbrieflich Gesuchter vollends zur persona non grata mutierte. Engels hat bis zu seinem Tode die Heimatstadt nur noch sporadisch besucht. In dieser Boomtown des 19. Jahrhunderts als Kulisse für Fortschritt und Beharrung wurde er sozialisiert, nicht zuletzt durch Mentalitäten religiöser Enge, durch unternehmerischen Erfolg, die Beobachtung sozialer Verwerfungen und der gesellschaftlichen Dynamik einer Schwellenzeit in einem der frühindustriellen Agglomerationsräume. Aus dieser Doppelstadt an der Wupper nahm er wichtige Impulse mit in ein lebenslanges Exil: Impulse für seine spätere Karriere als Sozialanalytiker, Theoretiker und Begründer des Wissenschaftlichen Sozialismus, Naturwissenschaftler, Militärtheoretiker, Journalist, Impulsgeber der Arbeiterbewegung und kongenialer Inspirator seines berühmten Partners Karl Marx.

200 Jahre später wird also der inzwischen große Sohn der Stadt, an den bisher ein nach ihm benannter Abschnitt der örtlichen Hauptverkehrsader und zwei hintereinander aufgereihte Denkmäler im Barmer Engelsgarten erinnern, gleichsam wieder eingebürgert, auch wenn diese schöne und medienwirksame Metapher die historische Wirklichkeit nicht richtig trifft. Abgesehen davon gefällt das natürlich nicht allen in der Stadtgesellschaft gleichermaßen. Haben schon die beiden aufgereihten Skulpturen (eine vom österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka, die andere vom chinesischen Künstler Chenggang Zeng) jeweils eine umstrittene, auch skandalisierte Vorschichte, so bedarf es nur wenig Phantasie zu vermuten, dass das Unbehagen, wenn nicht gar Heulen und Zähneknirschen einiger Zeitgenoss*innen (auch ohne antisozialistischen Beißreflex) schon weit im Vorfeld des Geburtstages vernehmbar sein wird. Immerhin schaffte Marx’ zwar aktuell noch die Mutation vom kommunistischen Monstrum zum scharfsinnig nüchternen Analytiker des modernen Kapitalismus. Aber in dem Maße, wie die Aktie von Marx stieg (Er ist zurück. New York Times 2008), fiel diejenige von Friedrich Engels. Der Historiker Edward Palmer Thompson sah Engels geradezu als Prügelknaben für jede beliebige Sünde der nachfolgenden Marxismen. Es bleibt also zu hoffen, dass der einst Verstoßene, der beinahe 200 Jahre für das kollektive Bewusstsein der Stadt so gut wie keine Rolle gespielt hat, nicht nur auf den Sockel gestellt werden soll, um ihn en passant, selbstredend kritisch betrachtend von eben diesem wieder herunter zu stoßen. Friedrich Engels und sein Partner Karl Marx hätten diesen simultanen Pas de deux aus Konstruktion und Dekonstruktion dialektisch und damit am Ende nüchtern kühl betrachtet.“

Schlusskapitel aus: 
Detlef Vonde: Auf den Barrikaden. Friedrich Engels und die „gescheiterte“ Revolution von 1848/49. Wuppertal 2019, S.286f