Engels für alle – historisch & aktuell

Im nordenglischen Salford, Vorort von Manchester, lernte Friedrich Engels einst die Schattenseiten des Industriekapitalismus hautnah kennen, als er sich im Auftrag des Vaters um die Belange der Firma Ermen & Engels zu kümmern hatte. Hier hat der Unternehmersohn zwei Jahrzehnte lang gelebt, gearbeitet und die prekäre Lage der Arbeiter kennen- und analysieren gelernt. Einen seiner ersten öffentlichen Aufrufe richtete er an das Arbeiterpublikum in der Hall of Science in Manchester. Diese Bildungseinrichtung des damals populären Sozialreformers und Frühsozialisten Robert Owen, gern auch als frühe Volkshochschule bezeichnet, schrieb dort Erfolgsgeschichte: Sie erreichte an Sonntagabenden regelmäßig bis zu 3.000 Arbeiterinnen bei Bildungsveranstaltungen und geselligen Treffs. Tendenz steigend. Und einer ihrer regelmäßigen Besucher war der junge Friedrich Engels, der tagsüber die Geschäfte des Familienunternehmens regelte, aber nach Feierabend die Gesellschaft von Fabrikarbeiterinnen der seiner Standesgenossen vorzog und beeindruckt war von den vielseitigen Bildungsformaten, mit denen diese Volkshochschule die Menschen nicht nur magisch anzog, sondern auch bei der Stange hielt. Vorträge, Experimente und Geselligkeit wechselten einander ab und eröffneten dem Publikum auf attraktive Weise eine Welt der Poesie, der Naturwissenschaften und der politischen Ökonomie. Das war für viele absolutes Neuland und Friedrich Engels war begeistert. 1842 entstand eines seiner epochalen und richtungsweisenden Werke: Die empirische Analyse über „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ – gewonnen aus eigener Anschauung, inspiriert durch eine Volkshochschule.
Keine Frage also, dass sich die Bergische VHS, die 1912 am Geburtsort von Friedrich Engels gegründet worden ist, ausführlich an dessen Jubiläum 2020 beteiligen wird. Zum Beispiel in der Politischen Runde. Die Traditionsreihe wird sich im Herbst 2020 exklusiv dem Thema Engels200 widmen. Ein einziges Thema? Das hat es in der fast 60jährigen Geschichte der Runde noch nicht gegeben. Von Ende August bis Ende November werden wir dort Wissenschaft für ein breites Publikum anbieten und versuchen, Friedrich Engels zu historisieren (d.h. im Kontext seiner Zeit zu zeigen, einer Schwellenzeit der Moderne, die uns heute näher erscheint, wie keine andere) und ihn zu aktualisieren (d.h. einige seiner zentralen Themen aufgreifen, die uns aktuell und künftig besonders herausfordern werden). Eine 12-teilige Veranstaltungsreihe mit der Crème de la Crème aus der europäischen Geschichtswissenschaft und mit anderen renommierten Gästen aus Kultur, Wissenschaft & Politik erwartet das Publikum. Und auch das hätte Engels gefreut: Für alle Veranstaltungen gilt das Prinzip „Pay what you like.“
Doch damit nicht genug: Ab September wird die VHS Friedrich Engels auch großflächig und unübersehbar ins Licht setzen, das heißt in den öffentlichen Raum holen. Eine große Public Art Videoinstallation mit historischen Portraits und Zitaten von Friedrich Engels, realisiert von
Kai Fobbe, André Poloczek und Detlef Vonde, wird im Herbst die Hauswand des VHS-Gebäudes erleuchten. Wie? Lassen Sie sich überraschen und freuen Sie sich darauf.

Anna Lenker
VHS-Leiterin

Dr. Detlef Vonde
Historiker