„Lügen mit Zahlen“ oder wie steuert man kollektive Panik durch Demografie?

Um diese steilen Fragen und Thesen ging es in der Politischen Runde mit Prof. Gerhard Bosbach (FH Koblenz).

Stefan Seitz & Gerhard Bosbach

Demografie habe bis etwa 2000 zu einem vormals staubtrockenen No-go-Thema gezählt. Das änderte sich schlagartig im Kontext der „sozialen Reformen“ (Agenda 2010), die sich auf die Zahlen der „10. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung bis 2050“ des Statistischen Bundesamtes von 2003 bezog und harte Einschnitte ins soziale Netz eben mit Demografie legitimierte. Stichworte: immer weniger, immer älter. Alle Medien stürzten sich auf diese geradezu apokalyptischen Zahlen und Werte. Wissenschaftler und Politiker machten damit Karriere und häufig auch „Kasse“ mit der Warnung vor der drohenden Überalterung der Gesellschaft und ihren Folgen. Das „Reformwerk“ ging zu Lasten der sozial Schwachen und der Rentner, die drastische Einschnitte hinnehmen und auf  private Vorsorgemodelle (Riester) verwiesen wurden. Profitiert haben Unternehmer (Lohnnebenkosten), Versicherer und Finanzmärkte im Verbund mit Wissenschaft und Politik. Und die Zahlen? „Modellberechnungen über 50 Jahre hinweg sind pure Kaffeesatzleserei“ , sagt Bosbach. Wer nur auf die absoluten Werte (Rückgang der potenziell Erwerbstätigen) blicke, der lüge schlichtweg mit Zahlen, wenn Variablen wie steigende Produktivität, Bevölkerungsentwicklung insgesamt, Renteneintrittsalter etc. außen vor gelassen würden.

Das sind die Tricks mit „den schlimmen Zahlen“  (Rückgang der Erwerbsfähigen bis 2060 um ca. 34%)   Der einzig belastbare Wert sei aber der unter diesen Bedingungen zu errechnende jährliche Durchschnittswert zum Rückgang der Erwerbsfähigen, und der liege bis 2060 bei gerade einmal 0,23%. „Wenn das eine Wettbewerbsgesellschaft nicht mehr schafft, dann ist sie in der Tat nicht mehr konkurrenzfähig.“  Die noch immer herrschende und medial breit vermittelte Lehre hingegen sei „volkswirtschaftlicher Quatsch“ – so der Statistiker und Mathematiker Bosbach. „Der Kuchen  (Bruttoinlandsprodukt qua Wachstum) wird größer, die Esser werden weniger. Deshalb müssen wir sparen? Blanker Unsinn.“

Und die Geschichte gibt ihm Recht. Weniger Kinder, höheres Durchschnittsalter, mehr Rentner – diese Faktoren gibt es bereits seit 1870. Und was ist passiert im letzten Jahrhundert? Der Wohlstand nahm rapide zu, der Sozialstaat wurde massiv ausgebaut. Die düsteren Prognosen aber noch zur Adenauerzeit lauteten. „Wir werden aussterben.“  Wie wir wissen, kam es dann doch anders.